In einem Seniorenheim wird eine ältere Dame mit Pflegebedarf im Rollstuhl über den Flur geschoben. Die Stimme eines Sprechers kommentiert die Bilder mit den Worten: „In Zeiten von Corona müssen wir besonders die Alten und chronisch Kranken schützen.“ Fernsehbeiträge mit Inhalten wie diesen sind in Zeiten der Corona-Pandemie häufig zu sehen.
An diesem Beispiel lässt sich gut erklären, was Altersbilder sind und wie sie wirken:
Unter Altersbildern werden Vorstellungen und Einstellungen zum Alter, zum Vorgang des Alterns und zu der Gruppe der älteren Menschen verstanden. Es bestehen dabei immer eine Vielzahl von Altersbildern nebeneinander. Diese können sowohl positive als auch negative Aspekte enthalten.
Das oben genannte Beispiel enthält die Vorstellung, ältere Menschen seien für die Bewältigung ihres Alltags auf die Hilfe Anderer angewiesen. Eine solche Zuschreibung einer Eigenschaft zu einer Gruppe von Menschen wird als Stereotypisierung bezeichnet.
Von Diskriminierung spricht man, wenn Stereotype zu einer Ungleichbehandlung von Menschen führen. Wenn beispielsweise eine ältere Person zum Arzt geht und dieser sie nicht eingehend untersucht, sondern auf bestimmte Erkrankungen schließt.
Wichtige Beiträge zur Veränderung von Stereotypen zum Alter hat die Alterswissenschaft, auch Gerontologie genannt, geleistet. Jahrzehntelang hat die Gerontologie in zahlreichen Studien nachgewiesen, dass die Gruppe der älteren Menschen sehr vielfältig und uneinheitlich ist.
Ein Beispiel dafür ist die “funktionale Gesundheit”. Diese bezieht sich auf Tätigkeiten, die für eine selbstständige Bewältigung des Alltags wichtig sind, dazu zählen u.a. das Heben von Einkaufstaschen, Staubsaugen oder die Fähigkeit sich anziehen zu können. Die funktionale Gesundheit nimmt mit steigendem Alter im Durchschnitt ab. Vergleicht man jedoch Menschen im selben Alter, sind teils große Unterschiede erkennbar. Es gibt sowohl den 80-jährigen, der wegen seines hohen Hilfe- und Unterstützungsbedarfs im Pflegeheim lebt als auch den 80-Jährigen, der seinen Einkauf zu Fuß in die Wohnung im zweiten Stock trägt.
In der aktuellen Situation der Corona-Pandemie wird die Gefahr einer Diskriminierung deutlich. Der bisherige Einsatz der Gerontologie, für die Pluralität des Alters in der öffentlichen Diskussion einzustehen und diese gesellschaftlich zu verankern, kann durch einseitig-negative Einstellungen sowie abwertende Berichterstattung gegenüber älteren Menschen gefährdet werden. Natürlich ist nicht jede Berichterstattung in diesem Bereich altersdiskriminierend, wer achtsam Zeitung liest und Fernsehen schaut, wird jedoch immer wieder darauf stoßen.
Eine entstehende und sich verfestigende Altersdiskriminierung wirkt sich nachteilig auf die Älteren und auf die Gesellschaft als Ganzes aus. Hierbei kann ein Konflikt zwischen den Generationen aufkommen und sich verfestigen. Durch Denkmuster, wie “wir gesunden Jüngeren“ müssen wegen dem Schutz der „kranken Älteren“ Verzicht üben, oder “wir tun das für euch”, kann bei jüngeren Menschen Missgunst und Frustration erzeugen. Bei älteren Menschen kann das Schuldgefühle und ein reduziertes Selbstwertgefühl auslösen. Ein erschreckendes Beispiel hierfür lieferte ein Oberbürgermeister aus Tübingen, der in einem morgendlichen Fernsehformat sagte: “Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Solche Aussagen können zu einer Spaltung der Gesellschaft führen und decken mit fataler Deutlichkeit das defizitäre Bild von Teilen der Gesellschaft zum (hohen) Alter auf, in dem Menschen, hier als drastisches Beispiel genannt, das Recht auf Leben abgesprochen wird.
Aus einer solchen und auch oben genannten diskriminierenden und stereotypischen medialen Berichterstattung zu den kontaktbeschränkenden Maßnahmen kann eine Drängung der älteren Menschen in eine passive „Opferrolle“ erfolgen. Dies kann dazu führen, dass Ältere primär als “schwach” oder gar “wertlos” wahrgenommen werden. Das kann negative Auswirkungen auf das auf körperliche, soziale, geistige und emotionale Wohlbefinden haben, denn das Altersbild “der schwachen Alten” wird dann zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Solche medialen und gesellschaftlichen Zuschreibungen können dann Ursache für den Eintritt dieser negativen Auswirkungen für ältere Menschen sein. Wer also glaubt, mit dem Alter krank und schwach zu werden, der unterliegt auch einem höheren Risiko für Erkrankungen im Alter.
Es ist erstrebenswert in der Corona-Pandemie ältere Menschen vor einer Ansteckung mit COVID-19 schützen zu wollen, allerdings kann die Gefahr bestehen, dass als zusätzlicher Effekt vorschnell alle Menschen im höheren Lebensalter pauschal als „schwach“, „krank“ und „verletzbar“ stereotypisiert werden.
Wenn das geschieht, können als Folge undifferenzierte Maßnahmen ergriffen werden, die diese Altersgruppe unverhältnismäßig im Vergleich zum Rest der Bevölkerung ausschließen.
Covid 19 ist keine Alterskrankheit. Zur Risikogruppe gehören alle Menschen mit chronischen Vorerkrankungen. Dennoch sind besonders ältere Menschen von Einschränkungen betroffen. Die teils strikte Isolation von Bewohner*innen von Pflegeheimen ist ein Beispiel dafür wie stark die Selbstbestimmung und soziale Teilhabe in diesem Zusammenhang eingeschränkt wurden, bzw. immer noch eingeschränkt werden. Eine Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen ist bisher weitestgehend ausgeblieben, wäre aber angesichts solch starker Eingriffe in die Freiheitsrechte notwendig.
Ein positives Beispiel dafür wie man einschränkende Maßnahmen reflektiert einsetzt, zeigt die deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaften e.V.. Sie hat eine Leitlinie entwickelt, die u.a. Pflegeheime mit verschiedenen Empfehlungen darin unterstützen soll, die soziale Teilhabe ihrer Bewohner*innen zu sichern. Eine der Empfehlungen lautet beispielsweise: “Die inhaltliche Ausgestaltung und Dauer der Quarantäne erfolgt auf Basis einer individuellen Risikoeinschätzung”
Es ist wichtig einer Stigmatisierung entgegenzuwirken. Die ältere Bevölkerung verfügt über wichtige Ressourcen und trägt als Großeltern, Partner/innen, Freund/innen, Konsument/innen, Berufstätige und ehrenamtlich Engagierte einen wichtigen Teil zur Gesellschaft bei. Dies trifft auf etwa 18 Millionen Menschen über 65 Jahren in Deutschland zu, welche einen unverzichtbaren Teil der Gesellschaft darstellen.
Um Medienschaffenden eine Hilfestellung zu geben, Altersdiskriminierung zu vermeiden, hat die deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie einige Empfehlungen veröffentlicht.
Zu diesen zählt das Verwenden einer inklusiven Sprache. Es wird empfohlen, das Gemeinwohl und die Verantwortung füreinander zu betonen. Alle Altersgruppen kämpfen gemeinsam gegen Corona. Auf diese Weise kann einer Logik vorgebeugt werden, bei der die Jungen und Gesunden sich für die Alten und Kranken aufopfern müssen.
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