Ein Großteil der Menschen mit Pflegebedarf lebt nicht in Pflegeeinrichtungen, sondern in den eigenen vier Wänden. Daher gewinnen wohnortnahe und alltagspraktische Unterstützungsangebote zunehmend an Bedeutung. Dazu gehört etwa die Nachbarschaftshilfe als unabhängige Form bürgerschaftlichen Engagements.
Das Thema Nachbarschaftshilfe hat eine große Bedeutung in der Region Ruhr, nicht zuletzt auch durch die Gründung des Netzwerks Nachbarschaftshilfe Ruhr im vergangenen Jahr. Nun hat das Regionalbüro Ruhr gemeinsam mit dem Netzwerk den „Tag der Nachbarschaftshilfe“ veranstaltet. Dort ging es um die Chancen und Potenziale der Nachbarschaftshilfe, zu denen sich Fachleute aus Kommunen und Altenhilfe sowie Nachbarschaftshelfende austauschten.
Petra Köster vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW begrüßte die Teilnehmenden mit dem zur Nachbarschaftshilfe so passenden Grönemeyer-Zitat „Hier, wo das Herz noch zählt – nicht das große Geld“. Die Nachbarschaftshilfe hat in unserer Region eine lange Tradition. Nordrhein-Westfalen hat schon 2008 die Unterstützungsform der Nachbarschaftshilfe eingeführt – dies griff auch Christian Heerdt vom Kuratorium Deutsche Altershilfe in seinem Vortrag „Nachbarschaftshilfe – Geschichte und Entwicklung“ auf. Von den ersten Nachbarschaften in der Frühzeit spannte der den Bogen über die Entwicklung der Nachbarschaftshilfe innerhalb der Unterstützung von Menschen mit Pflegebedarf bis hin zu den Potentialen sorgender Gemeinschaften.
Prof. Dr. Sebastian Kurtenbach von der Fachhochschule Münster informierte im Anschluss über Studienergebnisse rund um das Thema Nachbarschaften. So zeigte z.B. eine Studie auf, dass in der Coronazeit 75 Prozent der Befragten nachbarschaftliche Hilfen selbst, ohne zusätzliche Institutionen, organisieren wollten. Ein Punkt, den auch viele Nachbarschaftshelfende als Pluspunkt für ihr Engagement nennen – die Unabhängigkeit von anderen Organisationen. Eine Botschaft des Vortrags war daher „Trauen Sie den Menschen – gerade im Bereich Nachbarschaften – ruhig zu, sich selbst zu organisieren! Es braucht häufig nur Orte der Begegnung.“
In einer Podiumsdiskussion, in der zusätzlich zu den beiden Referenten und Frau Köster auch zwei Netzwerkpartner vertreten waren, ging um weitere Aspekte von Nachbarschaften und dortigem Engagement. Es wurden auch mögliche Hindernisse und Gründe angesprochen, warum viele Personen die Unterstützung nicht in Anspruch nehmen. Als mögliche Gründe wurden bürokratischen Hürden ebenso diskutiert, wie die Scham auf Hilfe im Alltag angewiesen zu sein.
Zum Abschluss der Fachveranstaltung blickten Andrea Kaesberger und Leonie Röttger zurück auf die Entwicklungen in der Region seit 2019. Mit den Netzwerkpartner*innen wurden an zahlreichen Orten in der Region Kurse durchgeführt. So konnten bislang schon 540 Personen geschult werden. Einige von ihnen trafen sich beim Tag der Nachbarschaftshilfe im Anschluss an Fachvorträge und Diskussion zum offenen Kaffeetrinken, mit dem sich das Netzwerk Nachbarschaftshilfe Ruhr bei allen Nachbarschaftshelfenden bedankte.
Es war schön zu sehen, dass sich Nachbarschaftshelfende aus allen Jahren und allen Kursformen, egal ob Präsenzkurs oder digital, auf den Weg gemacht haben und miteinander in den Austausch kamen. Und passend zum Tag verabschiedete sich einer der Helfenden, um im Anschluss seiner Nachbarin die vergessene Brille ins Krankenhaus zu bringen. Manchmal sind es die ganz kleinen Hilfen, die aber so wichtig sind. Und das macht die Nachbarschaftshilfe aus – wo das Herz zählt, nicht das große Geld.